Patricia Oefelein
Ich hätte nicht gedacht, dass das Loslassen meiner Kinder so schmerzhaft ist.
Als ich der andere Teil war, also damals selbst aus dem Elternhaus gegangen bin, habe ich nicht bemerkt, wie es meiner eigenen Mutter ging, denn ich war ja auf dem Weg in die Welt, da lag das ganze Leben vor mir, spannend und verheißungsvoll.
Nun schaue ich von der anderen Seite und finde es sehr herausfordernd, „zurückzubleiben“.
Bis vor gar nicht langer Zeit lagen meine Aufgaben mit den Töchtern noch ganz woanders, immer wieder war eine intensive Begleitung und Unterstützung notwendig, doch nun ist wird anderes von mir gewünscht und ich erinnere mich an das Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse:
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe,
Bereit zum Abschied sein und Neubeginn,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Tatsächlich ist ja das ganze Leben mit Kindern von Geburt an voller Abschiede: zuerst ein Abschied von der körperlichen Symbiose, dann einer von der innigen, seelischen Zweisamkeit, jedes Jahr ein Schritt mehr ins Leben, ein Schritt mehr weg von Mama. Sinnvoll, natürlich, notwendig und ganz normal für Kind und Mutter, mit vielen freudigen und immer wieder auch schmerzhaften Gefühlen und Trauer.
Diese Trauer dürfen wir bei aller Freude über die zunehmende Selbstständigkeit auch fühlen.
Meine Patentante sagt es schlicht und treffend: „Das ganze Leben, nichts als Freud und Leid.“
Doch Wachstum ohne Schmerz ist kein echtes Wachstum und ich stelle mir viele Fragen, einige sind vielleicht der einen oder anderen Mutter bekannt:
Ich bin mir sicher, dass bei jeder Mutter die Fragen durchaus individuell anders lauten. Doch ich könnte mir vorstellen, dass die meisten mehr oder weniger bewusst einen Prozess des Abschiednehmens und Loslassens durchlaufen. Häufig begleitet von den Wechseljahren, die ebenfalls Neues und noch nicht Bekanntes von uns fordern. Ich bin gespannt!
Gerne hole ich hier den genauso wichtigen Elternteil, die Väter, mit ins Boot. Möglicherweise stellen sich manche der Väter ähnliche Fragen, auch wenn sie vom Leben eher als „In-die-Welt-Schicker“ gedacht sind.
Und die Zeilen von Hermann Hesse gelten für alle Menschen:
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft zu leben.
….
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Im Umgang mit all diesen Fragen, vertraue ich immer wieder, dass ich genau das fühlen darf, was gerade in mir ist und gebe mir selbst Raum:
Das Leben bleibt nie stehen und nur der Wandel hat Bestand.
Wenn es mir gelingt, mich mit der Neugier und Vorfreude auf das Neue, das kommen will, zu verbinden, kann ich mich entspannen und bemerke, es ist ja gar kein Abschied vom Muttersein, es ist NUR eine Veränderung des Mutterseins, denn Mütter sind wir immer, egal wie alt unsere Kinder sind.
Und ich erinnere mich an damals, als ich diejenige war, die in die Welt ging, um meine eigenen Spuren zu hinterlassen.
Mit diesem Mut will ich leben, meine Trauer und meinem Schmerz zulassen und dankbar sein, dass ich all diese Erfahrungen machen darf.
Dankbar für die Unterstützung von anderen Menschen, KollegInnen, von Frauenkreisen, von Gesprächen mit FreundInnen und vom Leben selbst, das so viele wunderbare Ideen und Herausforderungen hat.
Ein letztes Mal ein Ausschnitt von Hesses Gedicht „Stufen“:
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Patricia Oefelein
(Veröffentlichung Ginkgo 09/10 2019)
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